Deutschland muss sparen - oder nicht?

Wir müssen sparen. Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt. Wir müssen jetzt etwas tun, alles andere wäre verantwortungslos. Neuverschuldung 2010: etwa 60 Mrd. € - die höchste in der Nachkriegsgeschichte. Doch ist Sparen die richtige Lösung?
Erst mal muss man fragen, wer ist „wir“. Haben Krankenschwestern, Handwerker oder Studenten über ihre Verhältnisse gelebt? Oder Hartz IV Empfänger, von denen 2009 etwa 1,3 Mio. zu den Aufstockern zählten, die zum Job Hartz IV beziehen mussten, weil ihr Lohn nicht zum Leben reichte?

Seit Kohl wird vom alternativlosen Zwang des Sparen geredet. Wir leben wohl schon lange über unsere Verhältnisse. Wohin hat das geführt? Wir müssen den Gürtel immer noch enger schnallen. Aber irgendwann ist auch das letzte Loch erreicht.
Und wir haben doch schon den Billiglohnsektor erweitert, Lohnverzicht geübt, den Sozialstaat reformiert und vieles mehr. Wir sind eines der wettbewerbsfähigsten Länder der Welt. Warum sind wir den immer noch verschuldet?
Wurde an falscher Stelle gespart? Während wir die Luft anhielten und die Gürtel enger schnallten wurde die Vermögenssteuer abgeschafft, die Erbschaftssteuer und der Spitzensteuersatz gesenkt und den Wohlhabenden weitere Steuervergünstigungen eingeräumt. All das sollte Wachstums schaffen. Gewachsen sind aber auch die Schulden.

Schauen wir auf die Neuverschuldung im Jahr 2010. Zuerst sollte man bedenken, dass die Bankenrettung bisher 80 Mrd. € gekostet hat. Ohne die Bankenrettung könnten wir also ca.
20 Mrd. € Altschulden abbauen. Fakt ist, dass die, die uns diese Neuverschuldung eingebrockt und am meisten von unregulierten Banken profitiert haben, nicht an den Kosten beteiligt werden. Das Sparpaket aus Berlin ist nur bei denen, die ohne Lobby sind, konkret. Hartz IV Empfänger, Arbeitslose, Elterngeldbezieher. Alles andere ist unsicher. So wollen die Betreiber der AKW´s bereits gegen die Brennelemente Steuer klagen. Und die geplante Bankenabgabe ist mit zwei Mrd. € pro Jahr ein Witz. Es würde 40 Jahre dauern, bis die Banken gezahlt haben, was der Staat bisher(!) zur Rettung in diesen Sektor pumpen musste. Zumal das Geld nur in einen Fond fließen soll, nicht in die Staatskasse. Vergessen sollte man auch nicht die Gelder, die andere Staaten aufbringen mussten. So hat beispielsweise die Deutsche Bank allein vom US-Steuerzahler 9,1 Mrd. € an Staatsgelder erhalten. Mit Umweg über den Versicherungskonzern AIG, der mit 180 Mrd. $ von den USA gerettet wurde. Dass Ackermann sich schämen würde Staatsgeld anzunehmen ist eine dreiste Lüge.

Doch zurück zu denen die über ihre Verhältnisse gelebt haben. Vor Kurzem war zu hören, dass die Reichen wieder so reich sind, wie vor der Krise. Also wie 2008. Das kommt der Studie des DIW nahe, die Werte bis 2007 ermittelte. Die besagt, dass das reichste Prozent der Deutschen etwa 23 % am Gesamtvermögen besitzt. Die reichsten 10 Prozent haben 2002 57,9% besessen, 2007 schon 61,1 %. Im Gegensatz dazu besaßen die unteren 70 % im Jahr 2007 zusammen nur rund 9 % des Vermögens. Und ganze 27 % der untersten 70 % nichts, oder Schulden.
Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt! Aha.

Wie dem auch sei, von den Schulden müssen wir wieder runter. Oder nicht?
Westerwelle tönt immer, dass der Staat wie ein schwäbischer Hausfrauenhaushalt geführt werden muss. Stimmt das? Und sind wir wirklich so stark verschuldet?
Und wenn alle sparen, wer kauft dann unsere Produkte? Schließlich wollen wir Exportweltmeister bleiben. Ca. 60 % unserer Exporte gehen in die EU. Wenn also alle EU Staaten gleichzeitig sparen, was passiert dann wohl mit den deutschen Exporten? Und fast alle schnüren momentan Sparpakete. Meist zu Lasten der unteren Schichten. Vielleicht ist Sparen ja doch nicht immer die beste Lösung. Sollte man nicht eher dafür sorgen, dass das Wachstum angekurbelt wird? Ja, und man muss bei denen anfangen, die kaum oder kein Vermögen haben. Da sie gezwungen sind jeden Euro in den Konsum zu stecken, werden sie auch jeden zusätzlichen Euro investieren. Das würde die in Deutschland sträflich vernachlässigte Binnenkonjunktur nachhaltig ankurbeln und der hiesigen Wirtschaft zu Wachstum verhelfen. Erlässt man dagegen Wohlhabenden die Steuern, erhöht sich nur deren Sparquote, nicht aber deren Konsumausgaben. Man muss also gezielt untere Einkommensschichten entlasten und fördern, z.B. durch einen Mindestlohn oder auch Aufstockung von Hartz IV. „Unbezahlbar“ hört man die Regierung sagen! „Holt es von den Reichen“, sagen die anderen! Aber die wandern doch dann aus! Eben nicht. In anderen Ländern müssen auch Steuern bezahlt werden und meist mehr als hier. Das Argument Abwanderung ist nur ein Totschlagargument, das gerne von den Vermögenden selber ins Spiel gebracht wird. Und sollen sie ihre Häuser, Grundstücke und Unternehmen in den Koffer packen und gehen?

Zurück zu den Staatsschulden. Was ist daran eigentlich so verantwortungslos und verheerend?
Wo ist der Staat überhaupt verschuldet? Na, bei uns. Diejenigen, die Staatsanleihen kaufen, leihen dem Staat Geld. Das sind in der Regel wir, die eigenen Bürger. Also fließen die Steuern, die zur Tilgung verwendet werden, über Zinsen in unsere eigenen Taschen. Oder in den Pensionsfond, in den wir für die Rente einzahlen. Die Besitzer von vererbbaren Staatsanleihen profitieren auch noch in 10, 20 und 30 Jahren von den Staatsschulden. Staatsschulden sind gleichzeitig unser Vermögen. Und Staatsanleihen eine beliebte, weil sichere, Anlageform.
Schauen wir dazu noch unsere Außenhandelsbilanz an. 2009 hatte Deutschland einen Außenhandelsüberschuss von 134 Mrd. Euro. Wir als Volkswirtschaft haben also 134 Milliarden mehr eingenommen als ausgegeben. Was soviel heißt wie: das Ausland hat 2009 bei uns 134 Mrd. € Schulden gemacht und nicht anders herum. Wir leben nicht über, sondern mit 134 Mrd. € unter unseren Verhältnissen. Die Jahre davor war das auch nicht anders.

Trotzdem ist der Staat verschuldet. Das ist einzig und allein ein Verteilungsproblem. Der Staat hat die Möglichkeiten, diejenigen stärker zu belasten, die es sich leisten können und Vermögen haben. Wenn er will. Doch schon seit Jahrzehnten werden Steuern auf Vermögen abgebaut oder sogar gestrichen. Die Lobby in Deutschland funktioniert. Wenn wir so weitermachen, stehen soziale Unruhen in naher Zukunft auf der Tagesordnung. Innerhalb von nur 5 Jahren, zwischen 2002 und 2007, ist das Vermögen der oberen 10 % um mehr als 3 % gestiegen. Eine jahrelange Umverteilung von unten nach oben. Das Geld ist da. Man muss es nur bei denen holen, die jahrzehntelang von der Politik bevorzugt wurden und von der Deregulierung der Finanzmärkte profitierten. Ein schlechtes Gewissen ist nicht angebracht. Man kann nur hoffen, dass bald Wirtschaftsspezialisten gehört werden, die nicht den Finanzsektor, sondern das Gemeinwohl im Sinn haben. Wenn wir jetzt an den falschen Stelle sparen, nicht für Wachstum sorgen und nicht in Zukunft, Bildung, Infrastruktur und Arbeit investieren, dann handeln wir tatsächlich verantwortungslos. Und das wird die nachfolgenden Generationen weit mehr kosten als die Zinsen, die für die Schulden des Staates als Steuern erhoben werden müssen.

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