"Wahrheiten" gerade gerückt

Ich möchte hier ein paar "allgemein bekannte Wahrheiten", die tagtäglich von Medien und Politik verbreitet werden etwas gerade rücken.

1. Die Unternehmenssteuern in Deutschland sind viel zu hoch

Nach einer Untersuchung aus dem Jahr 2009 von Pricewaterhouse-Coopers liegt Deutschland bei der Unternehmensbesteuerung weit im Mittelfeld. Auf Platz 112 von 183.

2. Der Staat gibt zuviel für seine Angestellten aus

Die Personalausgaben lagen im Jahr 2008 prozentual zum Bruttoinlandsprodukt bei 6,8 Prozent. Damit liegt Deutschland im EU Vergleich auf dem letzten Platz. Sogar noch hinter den USA mit knapp 10 Prozent. Mit über 16 Prozent liegt Dänemark bei den Personalausgaben an der Spitze.

3. Die Löhne in Deutschland sind zu hoch

Bis etwa 2000 stiegen die Löhne zusammen mit dem Produktivitätszuwachs. Seit 2000 jedoch wurde der Druck auf die Löhne erhöht. Seit 2004 blieben die Löhne hinter dem Preisanstieg zurück, obwohl die Wirtschaft von 2004 bis 2007 florierte. So sind die Löhne preisbereinigt zwischen 2000 und 2008 real um 2,2 Prozent gesunken. In keinem anderen Land der EU war dies zu beobachten.
Wir sind jetzt dadurch zwar Exportweltmeister, aber die Binnenwirtschaft liegt darnieder.
Auch wenn wir momentan wieder einen kleinen Aufschwung im Exportbereich erleben, wird uns genau dieses Problem in absehbarer Zeit auf die Füße fallen. Die Kaufkraft der Menschen im Land ist in den letzten 10 Jahren wesentlich zurückgegangen. Spätestens wenn andere Länder dem deutschen Sparkurs folgen (und das ist momentan zu beobachten) kann sich niemand mehr unsere Produkte leisten. Die schwache Binnenwirtschaft wird den Exportrückgang nicht abfedern können.

4. Der Staat nimmt zuviel ein und gibt zuviel aus

Die Einnahmequote errechnet sich aus den Einahmen des Staates, relativ zur Wirtschaftsleistung.
1999 lag die Einnahmequote bei 46,7 %
2008 l bei 43,9 %

Die Staatsquote errechnet sich aus den Staatsausgaben im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung des Landes
1999 lag die Staatsquote bei 48,1 %
2008 bei ebenfalls 43,9 %

Das mag sich nach nicht viel anhören. Aber hätten wir noch die Staatsquote von 1999, könnte der Staat jährlich 105 Millarden mehr ausgeben.

Parallel dazu schauen wir uns doch mal an, für was der Staat Geld ausgibt. Eine detaillierte Tabelle, gibt es dazu leider nur aus dem Jahr 2003:

Alters- und Hinterbliebenenrente 25,52 %
Gesundheit 13,67 %
Bildungswesen 8,64 %
Zinsen für die Staatsverschuldung 6,13 %
Soziale Sicherung bei Krankh. und Erwerbsunf. 5,81 %
Arbeitslosengeld 5,77 %
Allgemeine Verwaltung 4,89 %
Familie und Kinder (Kindergeld) 4,77 %
Soziale Hilfe, Soziale Sicherung 4,41 %
Wirtschaftliche Angelegenheiten 4,36 %
Öffentliche Ordnung, Sicherheit 3,41 %
Verkehr 3,34 %
Wohnungswesen 2,23 %
Verteidigung 2,22 %
Freizeitgestaltung 1,66 %
Umweltschutz 1,29 %
Forschung 1,09 %
Entwicklungshilfe 0,27%

Klar wird hiermit denke ich, dass der Staat das Geld, dass er einnimmt auch wieder seinen Bürgern zugute kommen läßt. Es verschwindet nicht einfach im ominösen Monstrum Staatsapparat. Und klar ist wohl auch, dass in vielen Bereichen, wie z.B. Bildung Geld fehlt. Wenn also nach Steuersenkungen oder Einsparungen gerufen wird, wird immer bei uns gekürzt. Das ist Geld dass dann für die Staatsbürger und wichtige hoheitliche Ausgaben nicht mehr zur Verfügung steht.

5. Die Staatsverschuldung in Deutschland ist exorbitant hoch

Um es vorab zu sagen. Eine zu hohe Staatsverschuldung kann einem Land die Luft zum atmen nehmen, aber dies ist in Deutschland sicher nicht der Fall.
Wir hatten 2008 eine Schuldenstandsquote von 65 %. Und wir liegen damit knapp unter der durschnittlichen Schuldenstandsquote im Euroraum. Verglichen mit den OECD Ländern, die Schuldenstandsquoten von 80 % aufweisen liegen wir weit darunter.
Auch wenn die Staatsschulden mit der Krise gestiegen sind, ist das immer noch kein Grund zu der weit verbreiteten Untergangstimmung.
Vergessen darf man in unserem Fall auch nicht, dass wir 1990 die Deutsche Einheit schultern mussten. Die meisten der Schulden, die wir heute haben, resultieren daraus. Auch darf nicht vergessen werden, dass wir als Deutsche Sparer angewiesen sind auf sicherer Schuldverschreibungen. Vor allem im Hinblick darauf, dass wir etwas für unsere private Altersvorsorge tun sollen. Die Pensionsfonds legen das Geld in der Regel in sichere deutsche Staatsanleihen an. Gäbe es die Staatsverschuldung nicht, müssten wir unser Geld in ausländische Staatsverschuldungen anlegen. Und die sind meistens unsicherer. So wie wir als Steuerzahler die Zinsen zahlen müssen, profitieren wir als Sparer wieder genau davon. Denn der Staat ist bei seinen eigenen Bürgern verschuldet.
Auch darf nicht vergessen werden, dass Deutschland nicht nur Schulden, sondern auch Forderungen und Sachvermögen besitzt.
Ein schönes Beispiel ist auch der deutsche Unternehmer, der seinem Sohn in 20 Jahren ein schuldenfreies Unternehmen hinterlässt - dafür aber 20 Jahre nicht mehr investiert hat.
Wenn wir uns einseitig auf die Rückzahlung der Schulden konzentrieren und Investitionen in Bildung und Infrastruktur vernachlässigen, versündigen wir uns tatsächlich an den nachkommenden Generationen. Jeder €, der heute vom Staat ausgegeben wird, trägt zum Wachstum bei. Jeder €, der gespart wird, schwächt das Wachstum. Investitionen des Staates führen zu Investitonen der Privatwirtschaft. Das sollte auf keinen Fall vernachlässigt werden. Sicher ist, dass die Staatsverschuldung nicht ins unermessliche wachsen darf. Aber Deutschland setzt sehr einseitig auf Sparen und Schuldenabbau. Das wird uns irgendwann auf die Füße fallen.
Schon jetzt geben wir viel zu wenig für Bildung aus, obwohl eine Facharbeiter und Akademikermangel absehbar ist. In den Bildungsausgaben liegen wir weit unter OECD Durchschnitt. Weniger Geld für Bildung geben Länder wie Russland und die Slowakei aus. Aber sollte das unser Maßstab sein? Hier zu sparen ist weitaus fahrlässiger, als die Staatschulden, die wir haben.

Dies soll eine kleine Anregung sein, die gängigen "Wahrheiten" zu hinterfragen. Politiker sind nicht allwissend. Volkswirtschaftler unter den Politikern sucht man mit der Lupe. Viele Medien sind leider meist auch zu unkritisch und übernehmen gerne die gängigen Thesen ohne sie zu hinterfragen.

Wer weiterlesen will, dem sei das Buch von Peter Bofinger - Ist der Markt noch zu retten? - empfohlen.
Peter Bofinger ist Mitglied des Sachverständigenrates und einer der fünf "Wirtschaftsweisen".

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